Mondparadoxie - Mondillusion
Mondparadoxie - Mondillusion
Freitag, 1. Oktober 2010
Warum scheinen Sonne und Mond beim Untergehen am Horizont größer zu sein ?
Das ist eine klassische Frage aus der Wahrnehmungspsychologie, bekannt unter dem Begriff„Mondtäuschung“.
Die Wahrnehmung der Größe eines Gegenstandes setzt sich zusammen aus der Größe des Abbildes auf der Netzhaut im Auge und aus dem Wissen um die Entfernung dieses Gegenstandes vom Auge (“Emmertsches Gesetz”). Ein Gegenstand in größerer Entfernung erzeugt ein kleineres Abbild auf der Netzhaut (kleinerer “Sehwinkel”), der gleiche Gegenstand in geringerer Entfernung ein größeres Abbild, trotzdem wird er in beiden Fällen als gleich groß wahrgenommen, da die Entfernungsinformation vom Gehirn unbewußt mitverarbeitet wird. Beispiel ein Tisch (B) in 5 m Entfernung (b) erzeugt ein kleineres Abbild auf der Netzhaut als der gleiche Tisch (A) in 2 m Entfernung (a), trotzdem erscheint er nicht kleiner(Größenkonstanz). Siehe Skizze:
Ein kleinerer Sehwinkel (kleinere Abbildung auf der Netzhaut im Auge) bedeutet aber auch nicht automatisch, daß der Gegenstand weiter weg ist. Beispiel: ein Spielzeugauto in 2 m Entfernung gegenüber einem PKW in 6 m Entfernung (das Gehirn bewertet bei der Größenwahrnehmung die Entfernungsinformation automatisch mit).
Aber: Was verursacht eine Störung der Größenkonstanz: Wenn optische Täuschungen bezüglich der Größe eines Gegenstandes auftreten, steht dahinter fast immer eine verkehrt eingeschätzte Entfernung zu diesem Gegenstand. Weil das “Wissen um die Entfernung” eine vom Gehirn unbewusst und automatisch auch auf Grund der Abbildungen auf der Netzhaut im Auge interpretierte Entfernungsschätzung ist, ist diese unbewusste Schätzung sehr fehleranfällig. Ein Gegenstand (D) in fester Entfernung (f), der ein Abbild in der Größe A auf der Netzhaut erzeugt, und dessen Entfernung fälschlicherweise unterschätzt (e) wird, wird als kleiner wahrgenommen, wird so groß (C) wahrgenommen, wie er sein müsste, um in dieser unterschätzten geringeren Entfernung die Größe A auf der Netzhaut zu erzeugen (siehe folgende Skizze). Ein Beispiel dafür ist der „Spielzeugautoeffekt“: Wenn man von einem hohen Turm hinunterschaut, wird mangels Erfahrung die Entfernung unterschätzt und die Autos unten werden kleiner, also wie Spielzeugautos, wahrgenommen. Bei Menschen mit viel Erfahrung im Hinunterschauen und in der Entfernungseinschätzung von großen Höhen herab, z.B. Flugzeugkapitänen oder Ballonfahrern, verliert sich diese Fehleinschätzung der Entfernung und damit auch der „Spielzeugautoeffekt“. Ich bin mal Ballongefahren. Wenn ich geschätzt habe, ca. 800 m über Grund zu sein, waren es real über 1300 m. Der Ballonfahrer dagegen hat durch seine Erfahrung fast ganz genau die Höhe dem Höhenmesser entsprechend richtig geschätzt und auch keinen "Spielzeugautoeffekt" mehr gehabt.
Ein PKW auf einem Parkplatz in 40 m Entfernung wird kleiner gesehen (wirkt aber immer noch wie ein normaler PKW ! ), weil der Sehwinkel kleiner ist. Ein PKW von 40 m Höhe von einem Turm hinab gesehen wirkt bei gleichem Sehwinkel sehr (!) viel kleiner (eben wie ein "Spielzeugauto"), weil mangels Erfahrung (undweil weniger Dinge dazwischen sind) die Entfernung unterschätzt wird.
Umgekehrt: Ein Gegenstand (C) in fester Entfernung e, der ein Abbild in der Größe B auf der Netzhaut erzeugt, und dessen Entfernung fälschlicherweise überschätzt (f) wird, wird als größer wahrgenommen, wird so groß (D) wahrgenommen, wie er sein müsste, um in dieser überschätzten größeren Entfernung die Größe B auf der Netzhaut zu erzeugen (siehe wieder Skizze oben). Ein Beispiel dafür ist die „Mondtäuschung“: Da zwischen Mond am Horizont und Betrachter viel mehr Gegenstände (Bäume, Häuser, Hügel etc. - mehr „Tiefeninformation“) liegen als zwischen Mond oben am Himmel und Betrachter, wird die Entfernung fälschlicherweise als größer eingeschätzt, bei größerer Entfernung und gleich großer Abbildung auf der Netzhaut müsste der Gegenstand aber größer sein, und so wird der Mond (oder auch die Sonne am Horizont) auch größer wahrgenommen.
Diese optische Täuschung lässt sich mit einem einfachen Trick ausschalten: man hält die Hand zu einer leichten Faust geballt - mit einem kleinen Sichtloch zwischen Daumen und Zeigefinger - in ca 10 - 15 cm Entfernung so vor ein Auge (das andere Auge geschlossen), daß man durch dieses kleine Sichtloch gerade noch den Mond am Horizont (und ein bißchen Himmel drum herum) sehen kann, dabei die umliegenden Elemente der Tiefeninformation (Bäume, Häuser, Landschaft, die zur falschen Entfernungseinschätzung führen) von der Faust verdeckt werden, dann verschwindet sofort die vergrößerte Mondwahrnehmung und man sieht den Mond so klein wie sonst auch.
In Wirklichkeit wird natürlich die tatsächliche Größe des Mondes auch oben am Himmel nicht korrekt wahrgenommen, jeder Astronom weiß, daß der Mond einen weitaus größeren Durchmesser (3476 km) hat, als die fehlerhafte, leicht täuschbare menschliche Wahrnehmung ihn uns erscheinen lässt. Dahinter steht wieder die unkorrekte Entfernungseinschätzung: die wirkliche Entfernung (384405 km) des Mondes ist für den Menschen nicht wahrnehmbar (der Mond erscheint kurz hinter den Wolken zu stehen), aber der Mond am Horizont scheint weiter weg zu sein als der Mond oben am Himmel. Durch die Tiefeninformation (Bäume, Häuser etc) bei waagrechter Blickweise zum Horizont und die fehlende Tiefeninformation beim Blick nach oben erhält das Firmament eine scheinbar abgeflachte Form. Das kann man leicht selber überprüfen: Wenn der Mond hoch oben (am besten in ca 50 - 60 Grad Höhe) am Himmel steht, vergleiche man die empfundene Entfernung mit der Entfernung des Horizontes, hinter dem der Mond beim Untergehen stehen würde. Es ist dann deutlich wahrnehmbar, daß der Horizont weiter entfernt erscheint, als der Mond oben am Himmel. Bei gleich großer Abbildung auf der Netzhaut des Auges wird dann der scheinbar weiter entfernte Mond größer wahrgenommen.
Ganz korrekt muß man sagen: Am Zenit wird die Entfernung noch etwas mehr unterschätzt als am Horizont, daher wird der Mond fälschlicherweise am Zenit noch etwas kleiner als bei derauch am Horizont falschen Entfernungs- und Größenwahrnehmung wahrgenommen - siehe nächste Zeichnung:
Wegen der abgeflachten Form des Firmaments werden auch die einzelnen Sterne eines Sternbildes (z.B. Sternbild “Schwan”) als weiter auseinander stehend wahrgenommen (das ganze Sternbild erscheint größer zu sein), wenn das Sternbild in Horizontnähe steht, als wenn es im Zenit steht: Und es wird kontinuierlich kleiner, wenn es sich beispielsweise im Verlauf einer Nacht vom Ost-Horizont her kommend dem Zenit annähert. Verblüffenderweise gibt es diese kontinuierliche und lineare Größenveränderung in Abhängigkeit von der Position am Himmel zwar bei den Sternbildern, aber nicht so eindeutig beim Mond oder der Sonne. Die scheinbare Größenveränderung von Sonne und Mond fällt - im Gegensatz zur Größenwahrnehmung bei den Sternbildern - erst inHorizontnähe auf.
Problematisch wird die ganze Geschichte allerdings jetzt durch ein offensichtliche Paradoxie: Bei Experimenten schätzen die Versuchspersonen die Entfernung zum Horizont immer größer ein, als die Entfernung zum Mond im Zenit, aber viele Menschen empfinden trotzdem den (hinter diesem entfernteren Horizont stehenden) größeren Mond als näher, als den Mond oben am Himmel. Diese Paradoxie könnte sich so auflösen: es vermischen sich hier die Täuschungen nach 2 Prinzipien der Entfernungswahrnehmung:
a) mehr Dinge (Tiefeninformation und Perspektive) dazwischen ist weiter weg.
b) größer ist näher
Wir nehmen nicht die reale Entfernung (385000 km) des Mondes wahr, sondern das Bild des Mondes entsteht wie auf der Mattscheibe eines Fernsehers auf dem scheinbar abgeflachten Firmament.
Jetzt stelle man sich einen Fernseher in 3 m Entfernung mit einem kleinen Kreis auf der Mattscheibe drauf vor, und dazu einen anderen Fernseher in 4 m Entfernung mit einem großen Kreis auf der Mattscheibe.
Der große Kreis auf der 2. Mattscheibe wird als näher, weil größer, als der kleinere Kreis auf der 1. Mattscheibe, dargestellt (Prinzip b), aber diese 2. Mattscheibe wird wegen der Perspektive und der Tiefeninformation für weiter entfernt als die 1. Mattscheibe, gehalten (Prinzip a). Die 1. Mattscheibe entspricht in diesem Vergleich dem Firmament am Zenit, die 2. Mattscheibe dem Firmament am Horizont.
Erst erfolgt die Mond-Täuschung nach Prinzip a (wegen mehr Tiefeninformation und Perspektive wird der hinter dem Horizont stehende Mond als weiter entfernt und damit als größer wahrge- nommen - siehe oben ), und dann die Täuschung nach Prinzip b (weil er größer erscheint, erlebt man ihn als näher). Aber erst muß die optische Täuschung wegen einer falschen Entfernungsschätzung nach Prinzip a stattgefunden haben, sonst würde er ja gar nicht als größer wahrgenommen.
Sehr schön lässt sich diese Paradoxie am Beispiel des “Amesschen-Raumes” verdeutlichen:
Zur Erinnerung: der Raum ist in Wirklichkeit nicht rechteckig, man glaubt fälschlicherweise alle drei Personen seien gleich weit entfernt. Aber im Vergleich zur mittleren Person wird die Entfernung der rechten Person überschätzt (sie ist real näher dran), sie wird daher größerwahrgenommen (Prinzip a), und weil sie größer zu sein scheint, wirkt sie wieder näher dran (Prinzip b) - wie der Mond am Horizont. Wieder im Vergleich zur mittleren Person wird die Entfernung der linken unterschätzt (sie ist real weiter weg), sie wird daher kleinerwahrgenommen (Prinzip a), und weil sie kleiner zu sein scheint, wirkt sie wieder weiter weg(Prinzip b) - wie der Mond in Zenitnähe.
Von einem sehr schönen Experiment zu dieser Paradoxie (der scheinbar entferntere Mond am Horizont wirkt näher, da er größer wahrgenommen wird), das die obige Darstellung bestätigt, berichtet auch der folgende Link: http://www.zeit.de/2000/03/200003.mond_.xml
Oft wird auch das Prinzip der “Vergleichsobjekte” als Erklärung für die Mondtäuschung ange- sehen:
(die beiden orangen Kreise in der Mitte sind gleich groß )
Prinzip der Vergleichsobjekte: weil der Mond am Horizont im Vergleich mit kleineren Objekten (z.B. Bäume, Häuser) gesehen wird, wirkt er dort größer, als wenn der Mond imZenit im Vergleich mit dem großen Firmament gesehen wird. Das trägt auch mit zur Mondtäuschung bei, aber gegen dieses Prinzip als alleinige Erklärung spricht folgendes Phänomen: auch in der Wüste und am Meer, wo es keine solche kleineren Vergleichsobjekte gibt, wird der Mond am Horizont sehr groß wahrgenommen. Allerdings kann man den Horizont in der Wüste und am Meer wegen der unverstellten Sicht sehr weit entfernt sehen und es gibt viel perspektivische Tiefeninformation, was ein weiterer Beleg für das Prinzip der überschätzten Entfernung als Erklärung für die Mondtäuschung ist.
Die Wirkung einer falsch eingeschätzten Entfernung zeigen auch die folgenden symbolischen Beispielbildern, bei der je zwei real gleich grosse Mondscheiben (“o”) auf zwei Bildern bei der Verschmelzung zu einem 3D-Stereo-Bild eine scheinbar unterschiedliche Entfernung haben und dadurch deutlich unterschiedlich groß wahrgenommen werden. Der linke “Mond” ist weiter weg, hinter dem Horizont, und wird grösser und dicker wahrgenommen, als der rechte “Mond”, der dem scheinbar näher (höher am abgeflachten Firmament) stehenden und deswegen kleineren “Mond” entspricht. - Divergenz-Methode: die beiden Bilder - die zwei * - durch Entspannung der Augenmuskulatur - Auseinandertriften der Augäpfel - zur Verschmelzung bringen.
Für das Erklärungsprinzip des abgeflachten Firmamentes spricht auch, dass nur damit auch die scheinbare kontinuierliche Größenveränderung der Sternbilder (siehe oben) erklärt werden kann, während das Prinzip der Vergleichsobjekte besser erklären kann, warum eine Größenveränderung von Sonne und Mond erst in Horizontnähe wahrgenommen wird.
Ebenso spielen bei der Mondtäuschung auch noch andere Faktoren der Wahrnehmungspsychologie eine Rolle, die zu weiteren ”Ungereimtheiten” führen. So z.B. Wechselwirkungen zwischen physikalisch-optischen und psychologischen Faktoren, und auch die neueste Erkenntnis der Wahrnehmungspsychologie, daß die “Visuelle Intelligenz” sich zwischen wahrscheinlichen Alternativen entscheidet.